Tagesspiegel-Kritiker Jan Künemund hat viel Freude daran, wie ToddHaynesNataliePortman und JulianneMoore in "May December" im Duell der Nervenzusammenbrüche inszeniert: Der Regisseur "kennt sich sehr gut aus mit flamboyanten Inszenierungen toxischer Weiblichkeit, und Moore und Portman geben wirklich alles, um das bereits erhitzte Filmmaterial nochmal auf den Grill zu legen. Immer wieder nimmt die Kamera die Position eines Spiegels ein, vor dem die Figuren (und die Schauspielerinnen) ihre Gesten überprüfen, ihre Nervenzusammenbrücheproben, den Effekt ihrer gelispelten Pointen kontrollieren." Die zahlreichen Referenzen, die Haynes in seinem Film als Ostereier versteckt, muss man dabei "nicht kennen, um in 'May December' Spaß zu haben. Das von zwei grandiosen, High-Camp-erfahrenenSchauspielerinnen abgefackelte Duell zweier schillernden Figuren am Rande eines Sumpfgebiets, in dem die hochfrequenten Geräusche der Grillen an den Nerven zehren, reicht für diese Method-Acting-Party vollkommen aus."
Außerdem: Karsten Munt führt im Filmdienst durch die Filme von SeanBaker, dessen neuer Film "Anora" eben in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde (unser Resümee). Trump hat eine Unterlassungserklärung gegen AliAbbasis in Cannes gezeigten Film "The Apprentice" abgegeben, berichtet Marie-Luise Goldmann in der Welt. In der FAZgratuliert Andreas Kilb Jean-PierreLéaud zum 80. Geburtstag.
Besprochen werden MichaelKlofts von der ARD online gestellte Dokumentation "24 h D-Day" (FAZ), die ARD-Doku "Geheimdiplomat Bundeskanzler: Wie HelmutKohl die Staatssicherheit narrte" (FAZ) und die Kinderserie "Bluey" (TA).
Am Ende hat die Jury in Cannes unter dem Vorsitz von Greta Gerwig doch nicht MohammadRasoulofs als Favorit gehandelten Film "The Seed of the Sacred Fig" (hier von Anke Leweke auf Zeit Online besprochen) mit der GoldenenPalme ausgezeichnet, sondern SeanBaker für seine sozialrealistische "Pretty Woman"-Variante "Anora". Der eben unter beschwerlichen Bedingungen aus dem Iran geflohene Regisseur wurde mit einem Spezialpreis der Jury "abgespeist", ärgert sich Katja Nicodemus in der Zeit über diese Entscheidung. Dabei wäre eine Goldene Palme für Rasoulof "keine politische Entscheidung gewesen, sondern die einzig Richtige", denn "diese auch formal konsequenteste Erzählung des Wettbewerbs" hatte "gezeigt, wozu das Kino imstande ist: Widerstand in Bilder zu verwandeln, die Angst der Angstmacher vorzuführen." Marie-Luise Goldmann kann in der Welt mit den Entscheidungen der Jury soweit gut leben: "Mit einem Transmusical, einer Sexarbeiterkomödie, feministischem Body-Horror, einem iranischen Widerstandsdrama und einer indischen Hymne an die Schwesterlichkeit zeichnet die Jury am Samstagabend nach zwei Wochen Filmmarathon an der Croisette nun zwar die politischsten, aber auch die mit Abstand überzeugendsten Filme aus." Der Palmengewinner "ist einer dieser Filme, bei denen man sich in jeder Szene neu hinterfragen muss, ob man das, was man gerade sieht, wirklich richtig einordnet - und ob nicht am Ende doch alles ganz anders ist. 'Anora' hat das geschafft, was in einem der anderen Film des Wettbewerbs, in Paolo Sorrentinos 'Parthenope', als Wissenschaft der Anthropologie definiert wird: uns sehen zu lehren."
"Mit Komödien gewinnt man keine Festivals - diese Faustregel gilt seit diesem Samstag nicht mehr", staunt Maria Wiesner in der FAZ. Und tatsächlich, schreibt Daniel Kothenschulte in der FR: Die Goldene Palme ging an den "bei weitem unterhaltsamste Film des Wettbewerbs". Der Film "ist von jener Sorte Perfektion, die man gerne unterschätzt, gerade weil alles wie am Schnürchen klappt. ... Wie Baker gleichzeitig Rollenklischees bedient und diese subtil infrage stellt, soziale Realitäten stets im Blick, braucht den Vergleich nicht zu scheuen mit amerikanischen Klassikern von John Cassavetes. ... Wenn das Festival von Cannes in diesem Jahr eine Botschaft senden wollte, dann hieß sie: Großes Kino entsteht unabhängig von politischen Krisen und lebt vom Miteinander seiner Extreme." Mit dieser Auszeichnung "erfährt das Filmschaffen von Sean Baker, der seit zwei Jahrzehnten sehr genaue Filme über Abhängigkeits- und Machtverhältnisse innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft dreht, eine Anerkennung, die zumindest 'Anora' aus der Arthouse-Nische befreien könnte", freut sich Josef Lederle im Filmdienst. Jenni Zylka (taz) und Bert Rebhandl (Standard) führen durch die Filmografie von Baker, dem Rebhandl ein "Faible für Außenseiter" bescheinigt: "Man könnte Baker durchaus als einen Sozialrealisten bezeichnen, allerdings schickt er seinen Realismus gern auf wildeRitte."
Und das allgemeine Fazit? Der Cannes-Wettbewerb war in diesem Jahr "ungewöhnlichoffen", findet Patrick Staumann in der NZZ: Große Namen konkurrierten hier mit Newcomern. Tazler Tim Caspar Boehme beobachtet hingegen eine "Auswahl von besonders schwankenderQualität". Jan Küveler (Welt) fiel im Programm "von Anfang an eine DominanzweiblicherHauptfiguren in ihrem Ringen um einen fairen Platz in der Welt" auf. Auch Josef Lederle (Filmdienst) sieht in diesem Festivaljahrgang "die Perspektive von Frauen ins Zentrum" gerückt: "Gegen so viel Vitalität, Feinsinn und politischen Weitblick kamen die Werke alter Meister nicht an." Weitere Cannes-Resümees schreiben Valerie Dirk (Standard), Andrey Arnold (Presse) und David Steinitz (SZ).
Außerdem: Für die Zeit hat sich die Tennisspielerin AndreaPetkovicLucaGuadagninos Tennisfilm "Challengers" näher angesehen. Peter von Becker schreibt im Tagesspiegel zum Tod des Filmemachers und Schriftstellers ThomasVoswinckel. Besprochen werden AnjaSalomonowitz' Biopic "Mit einem Tiger schlafen" über die Künstlerin MariaLassnig (JungleWorld), die deutsche, auf Netflix gezeigte Mystery-Serie "Pauline" (BLZ) und die Serie "Feud" (vom TA für die SZ online nachgereicht).
In Cannes geht die diesjährige Ausgabe der Filmfestspiele ihrem Ende entgegen. Der vielleicht am dringlichsten erwartete Film steht ganz am Schluss: "The Seed of the Sacred Fig", die jüngste Regiearbeit des in filmreifer Manier aus seinem Heimatland geflohenen iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof. Das Familiendrama handelt von einem konservativen Richter und dessen rebellischen Töchtern. David Steinitz zeigt sich in der SZ beeindruckt: "Der Film zeigt viele echte, sehr brutale Internetvideos von Demonstrationen, und wie sie von den Behörden mit aller Gewalt zerschlagen werden. Blutüberströmte Menschen liegen am Boden, überall Knüppel und Schüsse und Rauch. Und weil die Töchter einem Mädchen helfen, das bei den Protesten verletzt wird, zieht sich der Riss, der durch die iranische Gesellschaft geht, bald auch durch die vierköpfige Familie. Wer steht auf wessen Seite? Gegenseitiges Misstrauen und Paranoia machen sich breit, der Schutzraum des friedlichen Zuhauses zerbricht immer mehr." Auch Marie-Luise Goldmann findet Gefallen an dem Film und erklärt ihn in der Welt zum Goldene-Palme-Mitfavoritin. In der FAZ kommentiert Marie Wiesner die politische Bedeutung des Cannes-Screenings des Films.
Auch Sean Bakers "Anora" kommt gut an bei der Kritik. Die Komödie um die Titelfigur, die als Stripperin einen Oligarchensohn umgarnt, beweist laut FAZ-Autorin Marie Wiesner ein weiteres Mal, dass Baker lieber zeigt, "was andere ihre Figuren mit großen Worten erklären lassen würden. Man muss genau hinsehen und jede Sekunde auskosten, um etwa das kurze Aufflackern stummen Entsetzens zu registrieren, das durch Anoras Blick huscht, als Ivan sehr viel Geld mit leichter Hand am Roulettetisch setzt - und verliert. (…) Wie ein Artist auf dem Drahtseil hält Baker bis zum Ende die Balance zwischen Komödienelementen und Sozialkritik, erinnert immer wieder daran, dass in Amerika zwar vor dem Gesetz alle gleich sind, ein teurer Anwalt am Ende aber doch für den entscheidenden Unterschied sorgen kann." Für critic.deschreibt Till Kadritzke über den Film, fürfilmstarts Christoph Petersen.
Mehr aus Cannes: In der FAS zieht ebenfalls Maria Wiesner bereits Ihr Festival-Resümee. Valerie Dirk bringt uns im Standard einige wichtige Zahlen der diesjährigen Ausgabe nahe. taz-ler Tim Caspar Boehme zufolge herrscht im Wettbewerb vor allem Ratlosigkeit. Jan Küveler schreibt in der Welt über Geschlechterkämpfe auf den Cannes-Leinwänden.
Auf Eskalierende Träume blickt perlentaucher-Autor André Malberg noch einmal auf die Kontroversen um die diesjährige Ausgabe der Kurzfilmtage Oberhausen und macht sich im Anschluss daran Gedanken über fragwürdige Traditionen linker Ästhetik: "Linke Ästhetik der Gegenwart, das ist nicht selten der ungehemmte und exklusiv männliche Geniekult der alten Rechten, zurückgekehrt als Sieg der totalen Selbstgerechtigkeit, die sich für pure Vernunft hält. Es ist eine Ästhetik, der man sich hingibt. Che Guevaras Antlitz, das berühmte Zwillenbild der Antifa, dessen Vorläufer und Derivate, revolutionärer Chic. Einer muss immer Goliath sein, wer es nicht ist, wird automatisch David. Und umgekehrt. Einer die Kuh, einer der Schlachter. Dabei passen beide Bilder in der Realität auf fast gar nichts, bilden sie realexistente Machtgefüge und -gefälle einzig als Pop Art gewordene Wohlfühlfantasie ab."
Weitere Artikel: Ken Loach und Mike Leigh, zwei Schwergewichte des britischen Autorenfilms, wollen, wie die FAZ berichtet, nicht länger Schirmherren des Londoner Phoenix Cinema sein - weil dort das vom Israelischen Staat geförderte "Seret Film Festival" stattfinden soll (mehr auch im Guardian). Der französische Sender BFMTVmeldet, dass die Stadt Straßburg das Festival "Schalom Europe", eine Reihe mit israelischen Filmen, die hier seit 15 Jahren stattfindet, ohne Angabe von Gründen abgesagt hat. Der "Super Size Me"-Regisseur Morgan Spurlock ist gestorben, wie unter anderem der Standardmeldet. In der tazinterviewt Chris Schinke Guy Nattiv, den Regisseur des Biopics "Golda" über Golda Meir. Peter Praschl erinnert in der Welt an Spike Jonzes "Her". In der Welt spricht Martin Scholz mit "Furiosa"-Regisseur George Miller.
Besprochen werden Bernhard Sallmanns Essayfilm "Fluchtburg" (FAZ) und Todd Haynes' "May Dezember" (FAS).
Andreas Busche trifft sich für den Tagesspiegel mit Kirill Serebrennikow, der das Leben des früheren Schriftstellers und später rechten Politikers Eduard Limonow mit "The Ballad" als "Fieberfantasie verfilmt" und in Cannes uraufgeführt hat. Serebrennikow ist mittlerweile selbst im Exil und musste diverse Hürden nehmen, um Emmanuel CarrèresRoman über Limonow zu verfilmen. Er erklärt, warum er trotzdem an dem Projekt festgehalten hat: "'Wir studieren dieses faszinierende Objekt aus allen möglichen Perspektiven, um es besser verstehen zu können', beschreibt Serebrennikow seinen Ansatz. Den Film nennt er ironisch ein 5D-Modell - 'inklusive Geruch'. Dass er vor allem die 1970er Jahre fokussiert und die 'Baseballschläger-Jahre' Limonows eher pflichtbewusst erst in den letzten dreißig Minuten aufgreift, hat vielleicht aber doch mit Serebrennikows romantischem - und letztlich auch eitlem - Verständnis der Künstler-Persona zu tun. 'Ich kann mich mit Limonows Haltung, sich gegen alles zu stellen, in gewisser Weise identifizieren. Für einen Künstler ist das eine gute Position, nicht nach den Regeln zu spielen, die uns angeboten werden. Heiner Müller hat einmal gesagt: Steh über allem. Nur so verstehst du beide Seiten', sagt Serebrennikow. Eddie Limonow bleibt auch in der fünften Dimension ein Rätsel."
Dass sich auch auf dem Filmfestival Cannes politische Botschaften nicht verbannen lassen, heißt Valerie Dirk in ihrer Standard-Kolumne gut. Der künstlerische Leiter Thierry Frémaux hatte Solidaritätsbekundungen gleich welcher Art untersagt, "und dann kam Cate Blanchett, lüpfte ihre Schleppe und schummelte so doch noch eine Solidaritätsbekundung mit Palästina auf den roten Teppich. Und das ist gut so, ganz egal ob man einer Meinung mit Blanchett ist. Denn Politik findet niemals nur auf der Leinwand statt, sondern auch davor und dahinter. Und auf Filmfestivals treffen die politischen Diskurse aufeinander. Schon der Gründungsmythos des 1939 geplanten und 1946 erstmals veranstalteten Festivals von Cannes besteht darin, ein Kino-Bollwerk für die freie Welt zu sein - in Abgrenzung zu den einst faschistisch und bolschewistisch vereinnahmten Filmfestivals von Venedig und Moskau."
Weitere Artikel: Für die zweite Staffel der Anthologie-Serie "Them: The Scare" braucht man keine Vorkenntnisse aus der ersten, versichert Hendrik Buchholz in der FAZ, die Handlung um die schwarze Polizistin Dawn Reeve, den Serienmörder Edmund Gaines und die mysteriösen Morde, die an Angehörigen von Minderheiten begangen werden, ist in sich geschlossen. Es wird viel auf klassischen Horror gebaut, Schwächen in der Figurengestaltung gibt es trotzdem. Besprochen werden: "Kinds of Kindness" von Yorgos Lanthimos und "Emilia Pérez" von Jacques Audiard in Cannes (Welt), "Motel Destino" von Karim Ainouz (Taz) und "Furiosa: A Mad Max Saga" von George Miller (Standard, Zeit Online).
Der Malerin Maria Lassnig ging es in ihrer Kunst um "Body-Awarness" - und zwar lange vor den "Achtsamkeitsexpertinnen des 21. Jahrhunderts", schreibt Josef Grübl in der SZ. Die österreichische Regisseurin Anja Salomonowitz hat ein Biopic über die Künstlerin gedreht, deren Bilder erst wirklich erfolgreich wurden, als sie schon recht alt war. "Mit einem Tiger schlafen" ist mehr als ein herkömmliches Biopic, so Grübl, wirklich aufregend wird es aber durch die Hauptdarstellerin, findet er: "Der Film- und Bühnenstar Birgit Minichmayr ist großartig in diesem assoziativen Künstlerinnen-Porträt, mit wenigen Hilfsmitteln (wie etwa Gehstöcken oder entsprechender Garderobe) verkörpert sie Lassnig als Neunzigjährige ebenso wie als Siebenjährige. Das ist Schauspiel in seiner reinsten Form - über Gestik, Stimme und Imagination."
Gunda Bartels teilt im Tagesspiegel ihre Lieblingsszene aus dem Film, in der Lassnig nach einer Ausstellungseröffnung von allen allein gelassen wird: "Dass die reduzierten Schwarzweiß-Malereien namens 'Stumme Formen' den Kunststil Informell in Österreich mitbegründen, kratzt zu der Zeit niemanden. Bis auf die Ameisen. Unter ihnen hat sich offenbar herumgesprochen, dass Maria Lassnig schon in ihren Mädchentagen in Kärnten kein Insekt zerquetscht hat, sondern im Gegenteil Ameisen und Spinnen als Gefährten betrachtet, die es aus Badewannen zu retten gilt. Also kommen die Ameisen angetrippelt und tragen das schwankende Gemälde neben der beladenen Künstlerin her. Es ist das schönste Bild des Künstlerinnendramas, das - quasi in dokumentarischen Einschüben - immer wieder Lassnig-Gemälde zeigt." Taz-Kritikerin Katrin Bettina Müller braucht für die vielen Zeitsprünge im Film etwas Geduld.
Zurück in Cannes: Hier lief der fünfte "Mad Max"- Film an. Fans werden sich freuen, meint SZ-Kritiker Tobias Kniebe, entdeckt im Prequel von George Miller, dass die Vorgeschichte der Motorradfahrenden Rächerin "Furiosa" erzählt, allerdings einige Logiklöcher und findet - so ganz haut das alles nicht hin: "Als Einzelstück ist er eine Studie übers Überleben im Extremzustand, mit interessanten Gedanken über Kampf- und Anpassungsstrategien und die Notwendigkeit der Kooperation unter machthungrigen Psychopathen. Ganz überzeugend ist er nicht. Wie er als Double-Feature mit 'Fury Road' funktioniert, in einer vielstündigen Kinonacht mit Ohropax und höchster Oktanzahl - das werden die Mad Maxianer unter uns nun sehr bald herausfinden."
Im Perlentaucher Thomas Groh ist hingegen überrascht - Dieser "Mad Max" interessiert sich zur Abwechslung mal mehr für Menschen als für Autos: "So viel Plot, so viel persönliches Drama, so viel Shakespeare'sche Tragödie gab es im Franchise nicht mehr seit dem allerersten 'Mad Max' (damals noch der damaligen Gegenwart verpflichtet, die von Punk und Metal informierte Fantasy-Welt, die heute mit dem Franchise in Verbindung gebracht wird, war eine Erfindung des Sequels). War 'Fury Road' ein Glanzstück der Tugend 'Show, don't tell'... ist 'Furiosa' ein Stationendrama, das Millers einst sehr wandelbare, nun aber offenbar durchdefinierte Postapokalypse mit viel World Building ausstattet."
Weiteres: In der FRteilt Daniel Kothenschulte seine Eindrücke aus Cannes. In der tazberichtet Tim Caspar Böhme. Im Tagesspiegelmeldet Christiane Peitz, dass das Bundeskabinett den Entwurf zum neuen Filmförderungsgesetz absegnete. Besprochen werden Ali Abbasis Trump-Film "The Apprentice" (Welt, FAZ, tsp) und Jennifer Podemskis Serie "Little Bird" (auf Arte zu sehen) (taz).
In Cannes sorgt Ali Abbasis Film "The Apprentice" über den jungen Donald Trump für Furore. Trump fühlt sich verleumdet und droht bereits mit einer Klage gegen einen Film, der unter anderem eine Szene enthält, in der er seine Exfrau Ivana vergewaltigt. Marie-Luise Goldmann allerdings beschreibt in der Welt einen Film, der Trump nicht nur als Monster darstellt. Abbasi zeichne "den jungen Trump der siebziger und achtziger Jahre stets auch als schwachen, bemitleidenswerten Menschen. Gleich in der ersten Szene wird er in einer Bar sitzen gelassen, kurz nachdem seine Begleitung ihm vorgeworfen hat, von berühmten Menschen besessen zu sein. Später leidet er unter Erektionsstörungen, Haarverlust, Bauchfett. Sebastian Stan spielt Trump herrlich abgeschwächt. (...) Er stattet den späteren Politiker mit einer jungenhaften Sanftheit aus, die selbst in seinen unsympathischsten Szenen nicht weicht."
David Steinitz berichtet in der SZ über die kuriosen Hintergründe der Produktion: "Der US-Unternehmer und Milliardär Daniel Snyder, dem unter anderem mal das Football-Team Washington Commanders gehörte, hat den Film über die Produktionsfirma Kinematics mitfinanziert. Snyder darf man besten Gewissens als Trump-Fan bezeichnen. Er hat diesem wiederholt hohe Summen zu politischen Zwecken gespendet. Kurioserweise ging Snyder anscheinend davon aus, dass der Film eine Art Lobeshymne auf den großen Donald werden sollte - und kein Porträt des späteren Präsidenten als Vergewaltiger. Tja." Für die tazschreibt Tim Caspar Boehme über den Film.
Cate Blanchett ist in Cannes tatsächlich als palästinensische Fahne über den roten Teppich spaziert:
Wilfried Hippen befragt für die taz Rasmus Greiner über das diesjährige Bremer Filmsymposium. Josef Lederle veröffentlicht im Filmdienst Cannes-Notizen.
Besprochen werden einige Cannes-Filme: Kevin Costners "Horizon: An American Saga" und Coralie Fargeats "The Substance" (Tagesspiegel), ebenfalls "The Substance" sowie David Cronenbergs "The Shrouds" (Welt) und Jonás Truebas "The Other Way Around" (critic.de). Daneben außerdem, abseits der Croisette, Günter Attelns Dokumentarfilm "Joana Mallwitz - Momentum" (Tagesspiegel), Cece Mlay und Agnes Lisa Wegners "Das leere Grab (taz) sowie Oliver Boczek und Gerald Grotes "Ich habe Kiel erlebt" (taz Nord).
Die Kritiker berichten vom langen Festival-Wochenende in Cannes und teilen ihre Highlights: Ein Juwel ist für FAZ-Kritikerin Maria Wiesner Andrea Arnolds Film "Bird", in dem es um die in prekären Verhältnissen aufgewachsene Bailey geht, die eines Tages auf "Bird" (Franz Rogowski) trifft und ihn "fortan entdeckt, wie er auf den Dachfirsten der heruntergekommenen Hochhäuser balanciert. Ist er ein Vogel? Ist er ein Freund? Entstammt er ihrer Fantasie? Arnold hat darauf eine geniale Antwort gefunden. Nicht nur stofflich wagt sie viel, auch formal. Um Baileys Sicht der Welt zu zeigen, wechselt die Kamera manchmal ins schmale Hochformat ihrer Handyvideos, findet Schönheit auf Graffitiwänden, staunt über Wind, der durch Gräser fegt, zeigt Möwen, die in der Luft stillstehen. Diese Augenhöhe mit den Figuren verhindert Herablassung und lotet Menschlichkeit bis zum Grund hin aus - oft heftig, schrecklich, schön und sehr wahr." Auch Andreas Busche ist im Tagesspiegel begeistert von Arnolds Film, eigenwillig sind die Filme der Regisseurin aber schon: "Man muss sich auf ihre Fantasie einlassen oder kann mit ihrem Kino wenig anfangen."
Weiteres aus Cannes: Ziemlich bleich sahen die Zuschauer nach Coralie Fargeats Body-Horror-Thriller "The Substance" aus, schreibt David Steinitz begeistert in der SZ: "Der Film ist eine böse, smarte Satire, neben vielen Schockmomenten gibt es auch sehr komische Szenen. Das blutige Finale, in dem die Demi-Moore-Mutantin mehr oder weniger explodiert vor ihrem TV-Publikum, lässt alle berühmten Blutszenen der Filmgeschichte (die Blutdusche in 'Carrie', die Blutwelle in 'Shining') sehr blass aussehen." In der NZZlobt Andreas Schreiner Yolande Zaubermans Dokumentarfilm "La Belle de Gaza", der von arabischen Transfrauen erzählt, und den er ganz besonders queeren Palästina-Freunden ans Herz legt.
Kevin Costners Western-Projekt "Horizon" fiel hingegen weitgegend durch: Der erste Teil von Costners auf vier Episoden angelegter "amerikanischer Saga" ist für Welt-Kritiker Hanns-Georg Rodek ein Zeichen, dass der Western nun wirklich tot ist. Der Film erzählt von der "Landnahme" im amerikanischen Westen des 19. Jahrhunderts durch weiße Siedler, aber die Perspektive der Native Americans komme kaum vor, klagt Rodek: "Doch dies ist ein weißer Film, was sich schon im Titel zeigt: Die Siedler haben sich alle wegen eines Flugblatts mit der Überschrift 'Horizon' auf den Treck gemacht. Sie versprechen sich einen offenen Horizont und unendliche, unbesiedelte Weiten. Es ist, als würde man die deutsche Kolonialgeschichte in Südwestafrika weitgehend aus der Sicht der Siedler erzählen, die sich in 'unbesiedelte' Weiten eines neuen Kontinents aufmachen: Ja, da gab es ein paar unerfreuliche Ereignisse, aber im Wesentlichen feiern wir die Pioniere!"
Weitere Artikel: Susan Vahabzadeh bespricht in der SZGus Van Sants Serie "Feud" über Truman Capote. Helmut Hartung hat sich für die FAZ den Entwurf für das neue Filmförderungsgesetz angesehen über das sich vor allem die Produzenten freuen können (und sonst niemand). Christiane Peitz, Inga Barthels Claudia Reinhard schauen sich für den Tagesspiegel nochmal die Cannes Gewinner-Filme der letzten fünfzig Jahre an.
Francis Ford Coppolas selbstfinanziertes 120-Millionen-Dollar-Monstrum "Megalopolis" feiert in Cannes Premiere. Die ersten Reaktionen der Kritik sind, wie kaum anders zu erwarten, uneinheitlich. Maria Wiesner zeigt sich in der FAZ durchaus angetan. Denn "immer dann, wenn 'Megalopolis' zugleich Dokument des Eigensinns und Hommage an ein Jahrhundert Kinogeschichte wird, versteht man, warum dieser Film sein musste. Wenn Adam Driver auf einem silbernen Dachvorsprung steht, sich über den Abgrund beugt und kurz vor dem Fall die Zeit anhält, schnellt ihm der Abgrund mit Hitchcocks Vertigo-Effekt entgegen, als wäre er eben erst erfunden worden, und auch die Verbeugungen vor dem expressionistischen Kino der Weimarer Republik, wenn dunkle Schatten als Riesen über spiegelnde Hochhausfassaden gleiten, sind keine akademische Übung, sondern Herzenssachen."
Auch FR-Kritiker Daniel Kothenschulte würdigt Coppolas Wagemut, mit dem Ergebnis kann er sich freilich nicht allzu sehr anfreunden: "Was sich vielleicht ankündigt wie ein zweiter 'Blade Runner', bleibt technisch ungelenk und predigend-altherrenhaft. Manchmal sieht es aus wie der Softpornoklassiker 'Caligula' von Tinto Brass - nur ohne Sex. Und als wäre die Premiere nicht sonderbar genug, ergriff während der Vorführung plötzlich ein Schauspieler aus Fleisch und Blut das Mikrofon, um Adam Drivers Filmfigur ein paar Fragen zu stellen - nicht allerdings jene, die dieses merkwürdige Gesamtkunstwerk selbst aufwarf." Für die FAZ rezensiert David Steinitz, für dietaz Tim Caspar Böhme, für denStandard Valerie Dirk. Hier der bildgewaltige Trailer:
Außerdem: Kai Spanke analysiert in der FAZJohn Carpenters Horrorklassiker "Halloween". Jenni Zylka macht sich in der taz entlang einiger Cannes-Filme Gedanken über Geschlechterverhältnisse. Jan Küveler berichtet für die Welt aus Cannes, wo dieses Jahr die Frauen im Zentrum stehen sollen. Auch Josef Lederle meldet sich im filmdienst von der Croisette.
Besprochen werden George Millers "Furiosa: A Mad Max Saga" (FAZ) sowie Agnes Lisa Wegner und Cece Mlays Dokumentarfilm "Das leere Grab" (FAZ).
Das Filmfestival Cannes startet mit Filmen, die aktuelle Diskussionen um #metoo in den Blick nehmen, berichtet Tim Boehme für die taz: "Wie um das strukturelle Unrecht der Filmbranche symbolisch auszugleichen, erzählen die ersten Filme des Wettbewerbs von starken Frauen, die sich in ganz unterschiedlichen feindlichen Umgebungen behaupten müssen. 'Diamant brut' der französischen Regisseurin Agathe Riedinger folgt der jungen Liane (Malou Khebizi) durch ihren Alltag im verschlafenen Fréjus an der Côte d'Azur. Sie ist Instagrammerin, die in ihrem Account hauptsächlich ihren Körper thematisiert. Ihre Brüste hat sie schon machen lassen, sie überlegt, sich einen Brazilian Butt zuzulegen. Ihre Mutter ist arbeitslos, für das notwendige Geld klaut sie im Einkaufszentrum Parfum und Computerzubehör, das sie in der Nachbarschaft verhökert." "Furiosa: A Mad Max Saga" und "The Girl with the Needle" führt sich der Kritiker ebenfalls zu Gemüte und resümiert: "Gewalt ist keine Lösung, aber manchmal muss man sich trotzdem wehren."
Weitere Updates aus Cannes: David Steinitz feiert in der SZ Meryl Streep und den Actionfilm "Furiosa: A Mad Max Saga". In der FAZ berichtet Maria Wiesner aus Cannes über George Millers Mad-Max-Film "Furiosa", Agathe Riedingers "Diamant brut" und Judith Godrèches MeToo-Kurzfilm. Anke Leweke sah für Zeit onlineFrancis Ford Coppolas "Megalopolis", in der Welt schreibt darüber Hanns-Georg Rodek.
Auch NuriBilgeCeylans neunter Spielfilm "Auf trockenen Gräsern" steckt wieder voller "mitreißender, philosophischer Dialoge", stelltPerlentaucher Patrick Holzapfel fest. Der Film handelt von einem Kunstlehrer in Ostanatolien, der sich zu einer Schülerin hingezogen fühlt. "Wie immer bei Ceylan handelt es sich auch bei dieser Arbeit um eine an AntonTschechow und dem Existenzialismus geschulte Auseinandersetzung mit der Ambiguität des menschlichen Seins. ... Der Film fragt: Was wäre, wenn man ein Monster wie einen Menschen filmt? Oder anders: Warum sind Menschen Monster? Es mag widersprüchlich klingen, aber hinter dieser Schwärze verbirgt sich ein Humanismus, der das Menschliche eben gerade im Niederträchtigen verteidigt. Manchmal bewegt sich 'Auf trockenen Gräsern' bedrohlich nahe an den Grenzen des Apologetischen, insgesamt aber überlässt er uns das Urteil." Im Freitaghält Thomas Abeltshauser fest: "Es sind stets die Männer in Ceylans Diskurs-Epos, die sich aufgeklärt geben und doch beim kleinsten Widerstand als unreife und egomane Kindsköpfe erweisen, die auf dem Status quo beharren." Und Bert Rebhandl schwärmt online nachgereicht in der FAS: Ceylan "hat im Weltkino einen vergleichbaren Rang, wie ihn OrhanPamuk in der Weltliteratur hat. Gäbe es einen Nobelpreis für Filme, Ceylan wäre unzweifelhaft ein Kandidat." Auch sein FAZ-Kollege Andreas Kilb ist vollauf überzeugt: "Wirklich großes Kino lässt uns darüber staunen, wie vertraut uns die Dinge sind, die es in Bilder übersetzt. So wie 'Auf trockenen Gräsern', ein Film von Nuri Bilge Ceylan."
Updates aus Cannes: Tim Caspar Boehme (taz) und Andreas Scheiner (NZZ) sahen QuentinDupieuxs Meta-Komödie "Le deuxième acte", die das Festival eröffnete (mehr dazu bereits hier). Daniel Kothenschulte (FR) und Jan Küveler (Welt) berichten von der Eröffnungsgala des Festivals. Valerie Dirk porträtiert im Standard die französische Schauspielerin JudithGodrèche, die die aktuelle französischeMeToo-Debatte (über die Lena Bopp in der FAZschreibt) mit in Gang gesetzt hat und deren Kurzfilm "Moi Aussi" auf dem Festival läuft.
Weitere Artikel: Marian Wilhelm empfiehlt im Standard das Ethnocineca-Filmfestival in Wien. Besprochen werden MegRyans "What Happens Later" (Perlentaucher), JohnKrasinskis "IF: Imaginäre Freunde" (FAZ), Pablo Bergers Animationsfilm "Robot Dreams" (Freitag), Ole Bornedals Horrorfilm "Nightwatch: Demons Are Forever" (SZ, FD), die ARD-Serie "Die Zweiflers" (taz) und ein ARD-Porträtfilm über den Medienanwalt ChristianSchertz (BLZ).