Der Schriftsteller Patrick Mimouni
widmet sich in einer fünfteiligen Serie "Proust und seinen Erben": Da
Marcel Proust kurz nach der Veröffentlichung des vierten Teils der "Suche nach der verlorenen Zeit" verstarb, oblag es seiner Familie, seinen Nachlass zu verwalten und die restlichen drei Bände zur Publikation freizugeben. Vom fünften und sechsten Band hatte Proust eine Abschrift angefertigt, der letzte Band der "Recherche" jedoch, die "Wiedergefundene Zeit" existierte nur als Manuskript, in sechs Heften niedergeschrieben, die im Besitz seines Bruders Robert waren, so Mimouni. Es ist ziemlich wahrscheinlich, legt Mimouni im dritten Teil seiner Serie dar, dass Robert ihm unliebsame Passagen aus dem Manuskript entfernte, denn im Buch fehlt
eine entscheidende Stelle. Proust hatte, beweist Mimouni, den Plan seinen Protagonisten Swann im letzten Teil als praktizierenden Juden darzustellen - eine Wendung, die Robert nicht gutheißen konnte, der als assimilierter Jude versuchte, jede Verbindung seines Bruders
zur Religion zu leugnen. Erst "nach langem Bitten" willigte Robert ein, dem Verleger "die sechs Originalhefte des Manuskripts zu liefern. Aber waren sie wirklich Originale? Wie kann man sich diese Frage nicht stellen? Die Hefte bestehen aus einer großen Anzahl von Seiten, die herausgeschnitten oder herausgerissen und entsprechend dem Aufbauplan des Textes wieder zusammengefügt wurden. 'Hastig verbundene Passagen, unterbrochene Sätze ...', stellte einer der Herausgeber der aktuellen Version des Textes in der Pléiade fest. Nichts ist leichter, als etwas aus diesen Heften herauszuschneiden, ohne dass es seltsam erscheint. Aber was hätte Robert kürzen können? Die Passagen, in denen von Homosexualität die Rede ist? Dann hätte man Hunderte von Seiten zensieren müssen - das war nicht möglich. Bleiben die Passagen, in denen Marcel auf die Religion hätte anspielen können - eine Sache, die für Robert immer problematisch war. Ja, es ist seltsam. Dem Proustschen Roman fehlt offenbar eine Episode - eben die Episode, in der Swann sich konkret wie ein
religiöser Jude verhält. Proust hätte ihn beim Gebet in der Synagoge malen können, oder in seiner Bibliothek über einen der Talmudtraktate gebeugt, oder als Präsident der Gesellschaft für jüdische Studien. Er hätte sich nur von James-Edouard de Rothschild inspirieren lassen müssen. Denn offensichtlich -
so Prousts Plan - wurde Swanns Enthüllung des Judentums mit
Charlus' Enthüllung der Homosexualität verglichen. In der uns vorliegenden Version nimmt Swanns Rückkehr 'in den religiösen Schoß seiner Väter' nur eine Seite ein, die am Anfang von Sodom und Gomorrha wie in der Schwebe gelassen wurde, während Charlus' erotische Praktiken Gegenstand einer umfangreichen Entwicklung des Romans sind. So viel dazu! Eine Seite war für Robert schon genug."