Der unter anderem vom Historiker
Jörg Ganzenmüller und
Oliver von Wrochem, dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme unterzeichnete Brandbrief zu Claudia Roths Konzept zur Erinnerungskultur (
Unsere Resümees) hat es in sich, meint Christian Staas auf
Zeit Online, der daraus zitiert: "Der zentrale Stellenwert der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen für das staatliche Selbstverständnis der Bundesrepublik wird in den inhaltlichen Ausführungen nicht deutlich, vielmehr erscheint die wiederholte Erwähnung der 'Menschheitsverbrechen der Shoah' wie ein pflichtschuldiges Mantra. Das Papier kann als geschichts-revisionistisch im Sinne der
Verharmlosung der NS-Verbrechen verstanden werden." Staas findet, das sei doch
etwas fatalistisch und empfiehlt Dialog: "Womöglich liegen die Positionen ja am Ende gar nicht so weit auseinander. Denn so wichtig es ist, den wolkigen Ideen aus dem Entwurf des Kulturstaatsministeriums Konturen zu verleihen und die Arbeit der bestehenden Gedenkstätten zu sichern, so destruktiv wäre es, nun in der Debatte gegeneinander auszuspielen, was letztlich zusammengehört. Dass Ganzenmüller und Wrochem in ihrer Kritik nicht aufs Neue die Front
Kolonial- versus Holocaustgedenken eröffnen, ist da schon mal ein gutes Zeichen. Und auch sonst enthält ihr Schreiben viel Bedenkenswertes - etwa die Hinweise auf die Gefahren der grassierenden Geschichtsfälschungen in sozialen Netzwerken und auf
konservatorische Herausforderungen."
Einen anderen Ton schlägt Joachim Käppner in der
SZ an. Zwar findet er die Aufregung um Roths
Konzept auch ein wenig übertrieben, nichtsdestotrotz liegt die Kulturstaatsministerin mit ihrem Entwurf komplett daneben: "Im Entwurf Roths erscheint Erinnerungskultur als eine Art
staatlicher Belehrungsauftrag, den man
zeitgemäß um Antikolonialismus und Migrationsgeschichte zu erweitern habe. Dabei hat sich diese Erinnerungskultur, die heute zu den Pfeilern der deutschen Demokratie gehört, eigendynamisch über die Jahrzehnte entwickelt; oftmals, wie in der Ära Helmut Kohl und seiner reaktionären 'geistig-moralischen Wende', gerade in Opposition zu den Regierenden. Die Politik darf und soll das Gedenken fördern, aber nicht verordnen, und genau das wird hier voll Eifer versucht."
Auch Ayala Goldmann
fürchtet in der
Jüdischen Allgemeinen eine "
weichspülende Geschichtspolitik, die allen gefallen soll": "Die Schoa, der Mord an sechs Millionen Juden, ist
kein Verbrechen unter vielen. Wenn ein Entwurf des deutschen Kulturstaatsministeriums daran den geringsten Zweifel lässt, ist er das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht."
Lisa Berins stellt sich in der
FR hinter
Claudia Roth, die auch in der Kritik steht, weil sie bei der Preisverleihung der Berlinale (
unser Resümee) geklatscht hatte und beim Thema Antisemitismus laviere: "Man kann Kritik an einer zurückhaltenden Politik Roths üben, auf der anderen Seite ist es eine utopische Vorstellung, dass ein in der
Gesellschaft grassierender Antisemitismus durch eine 'durchgreifende' Kulturpolitik einfach so aus der Kulturszene 'herausgehalten' werden könnte. Ein gesamtgesellschaftliches Problem braucht wohl auch eine
gesamtgesellschaftliche Lösung. Mit dem Finger auf eine einzelne Politikerin zu zeigen, riecht jedenfalls nicht nur nach parteipolitischer Agitation und womöglich nach Misogynie, sondern ist auch einfach unlogisch."